Skeptisch

Die innere Frau ist skeptisch. „Ist es wirklich wahr?“ fragt sie sich, „kann ich meine Höhle schon verlassen?“ Zulange schon verharrt sie darin,  gegen alle Widrigkeiten geschützt und das Draußen ausgesperrt. Es war schließlich nicht nur Corona sondern auch Winter. Die Nächte waren lang und kalt, die Tage kurz. Die innere Frau zieht die dicken Strümpfe aus und wackelt ein bisschen mit den Zehen.Sofort kriegt sie eine Gänsehaut. „Ganz schön eisig da draußen.“
Schnell packt sie die Füße wieder ein und hüllt sich in eine dicke, flauschige Decke. Langweilig, aber schön gemütlich und warm.
Und doch, etwas ist anders. Eine kleines, neugieriges Fragezeichen schlängelt sich durch den Bauch nach oben und macht die innere Frau unruhig. Es riecht so gut und wenn sie durch ihr kleines Höhlenfenster schaut, sieht sie bunte Farbflecke in der Wiese: ein zartes Gelb, schneeweiße Blütenschleier und ein Hauch von Rosa… Es ist gar nicht Grau in Grau da draußen.
Die große Mutter hat sich das eine Weile angeschaut. Jetzt reicht es ihr, und sie spricht ein Machtwort: „Raus mit dir!“ ruft sie der inneren Frau entschieden zu. „Komm raus. Die Sonne scheint. Du rostest ja ein.“
„Sie hat Recht,“, denkt die innere Frau, „ eigentlich bemerkte ich schon, dass die Tage länger geworden sind.“
Morgens wird sie schon vor dem Weckerklingeln wach, weil die Vögel so schön zwitschern.
„Komm spielen“ ruft die große Mutter fröhlich in die Höhle, „die Bäume schlagen aus und die Birken tanzen uns entgegen. Lass uns ein Frühlingslied singen.“

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