Skeptisch

Die innere Frau ist skeptisch. „Ist es wirklich wahr?“ fragt sie sich, „kann ich meine Höhle schon verlassen?“ Zulange schon verharrt sie darin,  gegen alle Widrigkeiten geschützt und das Draußen ausgesperrt. Es war schließlich nicht nur Corona sondern auch Winter. Die Nächte waren lang und kalt, die Tage kurz. Die innere Frau zieht die dicken Strümpfe aus und wackelt ein bisschen mit den Zehen.Sofort kriegt sie eine Gänsehaut. „Ganz schön eisig da draußen.“
Schnell packt sie die Füße wieder ein und hüllt sich in eine dicke, flauschige Decke. Langweilig, aber schön gemütlich und warm.
Und doch, etwas ist anders. Eine kleines, neugieriges Fragezeichen schlängelt sich durch den Bauch nach oben und macht die innere Frau unruhig. Es riecht so gut und wenn sie durch ihr kleines Höhlenfenster schaut, sieht sie bunte Farbflecke in der Wiese: ein zartes Gelb, schneeweiße Blütenschleier und ein Hauch von Rosa… Es ist gar nicht Grau in Grau da draußen.
Die große Mutter hat sich das eine Weile angeschaut. Jetzt reicht es ihr, und sie spricht ein Machtwort: „Raus mit dir!“ ruft sie der inneren Frau entschieden zu. „Komm raus. Die Sonne scheint. Du rostest ja ein.“
„Sie hat Recht,“, denkt die innere Frau, „ eigentlich bemerkte ich schon, dass die Tage länger geworden sind.“
Morgens wird sie schon vor dem Weckerklingeln wach, weil die Vögel so schön zwitschern.
„Komm spielen“ ruft die große Mutter fröhlich in die Höhle, „die Bäume schlagen aus und die Birken tanzen uns entgegen. Lass uns ein Frühlingslied singen.“

Papiertiger zähmen

Papiertiger zähmen

Beim Blättern in den vielen Notizheften, fand ich einen Zettel:

„Der Stein, der sich in alle Wege legt, die ich betreten möchte“ steht auf dem Papier. Ich weiß nicht mehr, wann und warum ich diesen Satz aufgeschrieben habe, irgendwann im letzten Jahr wird es gewesen sein, denn in diesem Heft mit dem Titel „Zwischen zwei Ablenkungen…“begann ich am 31.01. 21 zu schreiben.  Es ist fast voll. Ich muss nachdenken.

Der Stein, der sich in alle Wege legt, die ich betreten möchte….
ist er zu schwer, um ihn aufzuheben?
bin ich zu bequem, um mich zu bücken?
Ist er groß oder klein?
Kann ich über ihn hinweg gehen oder um ihn herum laufen?
Ist er schön?
Wer hat ihn hierher gelegt?
Ich kann ihn nicht übersehen, möchte nicht, dass er zum Stolperstein wird. Wenn er nun der Stein des Anstoßes wäre, was würde er anstoßen. Ich spüre, wie der Stein beginnt, mich zu hypnotisieren.
Ich möchte weglaufen und  auch bleiben. Weglaufen, um mich abzulenken, bleiben, um genau hin zu schauen. Der Stein strahlt aus, scheint sein unsichtbares Feuerauge in mich hinein zu brennen. Da muss etwas sein.  Ein blinder Fleck oder eine verdrängte Wahrheit. Etwas, was mich immer wieder in tausendundeine Ablenkung flüchten lässt. Kurz stöhne ich bei dem Gedanken auf, was meine Kinder an Mamatexten bewältigen müssen, wenn ich einmal nicht mehr lebe. Es gelingt mir kaum, meine Textschnipsel und unvollendeten Geschichten  in einer sinnvollen Art zu sortieren, aber wegschmeißen kann ich auch nichts. Alles hängt irgendwie zusammen, verbunden durch  einen roten Faden, der dicker wird, je älter ich werde. Jeder Text, ein Puzzleteilchen, das etwas über mich erzählt. Das Fantastische mischt sich mit dem Gedachten und dem wahrhaftig erlebten.  Ich brauche eine Ordnung, ein System.
Steine liegen nicht einfach so im Weg. Sie sind eine Herausforderung und halten den Kopf fit.

Es gab mal eine wichtige Person in meinem Leben, mit der ich über das Schreiben im engen Kontakt stand. Einmal schrieb ich für ihn diesen Text:

„Was ich dir schon immer sagen wollte:

Ich liebe es, wenn du – ein Papiertiger, der schon mal gerne auf weißen Blättern die Schreibkrallen ausfährt, Bissspuren darauf hinterlässt oder einen wortgewaltigen Donnerbrüll loslässt – wenn du sanft und leise wie ein Salonlöwe über die weichen Teppiche meiner inneren Räume tapst und ein paar wildwuchernde Zauberzeilen fallen lässt, bevor du wieder in den magischen Wäldern verschwindest und dich im Nebel auflöst.

Sie wachsen bei mir, denn ich sammle sie auf und pflanze sie in die inneren Gärten. Auf diese Weise ist dort schon ein ganzer Wald gewachsen.“
Ich denke sehr gerne an diesen Austausch.

Brief an den Papiertiger

Lieber Papiertiger,

Was ist los? Warum geisterst du wieder so oft durch meine Gedanken? Im Dschungel bist du doch gut aufgehoben. Was lässt dich deine Deckung verlassen? Ganz flüchtig, wie ein Schatten, aber unübersehbar spazierst du durch meine inneren Welten. Ich habe dich nicht gerufen.  Eher störst du mich bei meinen spannenden Projekten. Aus Erfahrung mit dir weiß ich aber, es muss einen Grund für dein gehäuftes Erscheinen geben. Dass habe ich nun davon, dass ich versucht habe, dich zu zähmen.  Du beißt mich nicht und kannst mich mit deinen Krallen nicht mehr verletzen. Aber du bist kein Kuscheltier geworden. Und das ist auch gut so.
Lange habe ich dich nicht mehr gesehen. Ob es an der Jahreszeit liegt? Wir sind beide Herbstzeitlose, melancholisch Angehauchte, dem morbiden Charme der Jahreszeit Verbundene.
Erinnerst u dich noch daran, was uns aufeinander zutrieb? Wie waren beide von einer tiefen Sehnsucht getrieben, die andere Hälfte von uns selbst zu finden.  Bei mir war es immer das Gefühl, dass mir etwas Wesentliches fehle. Damals hätte ich diese Sehnsucht nicht mit Worten beschreiben können.
Viele Jahre sind vergangen. Mit dir begann ein großes Abenteuer , eine Reise zu mir selbst. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen ist Spiegel für uns selbst. Wir können hineinschauen und Sehen lernen.  Wir sehen uns selbst, auch mit den Nuancen und Farbtönen, die wir an uns bisher nicht entdecken konnten. Nicht immer sind sie angenehm.
Wir sind uns fast nur über das Papier begegnet. Dabei entdeckte ich, wie machtvoll Sprache sein kann, wie sehr es ihr möglich ist, Gefühle zu entfachen und hervorzulocken. Die Schwingung zwischen den Worten, die wir teilten, bleibt unvergesslich intensiv. Mein Herz hat sich weit geöffnet. Es gab starke Glücksmomente und ebenso schmerzhafte Augenblicke. Manche Blickwinkel zeigten Abgründe, Wüsten und brodelnde Vulkane. Das Spiel mit dem Feuer gehörte auch dazu. Als Ausgleich gab es tröstende und heilsame Oasen, den heiligen Hain und die verborgenen Quellen. Manchmal tanzten zwei Seelen in meiner Brust Tango. Immer ging es um Grenzen. Wie weit kann und darf ich gehen? Wann gehe ich besser in Deckung, wann ist der richtige Zeitpunkt um auf unbekannten Wegen mutig voran zu schreiten?
Zwischen all diesen emotionalen Auf und Abs bin ich mir nicht verloren gegangen. Im Gegenteil, ich habe mich in meiner Ganzheit gefunden.  Den Becher mit wildem Wein – bitter und süß – trank  ich bis zur Neige aus.
Dann bist du auf die andere Seite gegangen.  Ich wusste, dass du gehen wirst und war vorbereitet.
Ich war frei und die Trauer entsprechend still. Etwas Neues hat sich daraus entwickelt und die Sehnsucht nach der fehlenden Hälfte treibt mich nicht mehr um. Ich habe sie ja in mir selbst gefunden.
Dankbar, dein Dornröschen

Nachsatz, jetzt weiß ich, warum  du gerade so oft durch meine Gedanken schleichst: du möchtest mich daran erinnern, dass ich das Schreiben nicht aufgeben soll.  

sturmtief über „my sweet home“

am morgen wappne ich mich gegen den Sturm, übe mich in ausufernder gelassenheit. nichts soll mich heute aus der ruhe bringen oder mir den tag versauen. verfrühtes aprilwetter lasse ich verlautbaren und freue mich darüber , drinnen bleiben zu dürfen.  erheitert schau ich mir die launen da draußen an, wie die zweige wippen, die wolken drohen und die regentropfen ans fenster klatschen. dramatisches theater vom feinsten.
ich habe allerdings übersehent, dass der sturm  im inneren seine kraftreserven rekrutiert. zwischen draußen und drinnen sind wände, türen fenser, ein sicheres dach, aber innen bin ich den naturgewalten ausgesetzt. manchmal blitzt die sonne durchs fenster und macht mir schöne augen. trügerisch!
ich denk mir ein dickes f- es sträubt sich raubtierhaft – und manifestiere mich in der küche, verbiete dem toben und wüten den zutritt,  bis es mir gelingt, den innenstürmen ebenso ausufernd gelassen entgegenzutreten wie denen da draußen
sollen sie doch alle bleiben wo der pfeffer wächst oder zum mond fliegen mit ihren inneren stürmen.
also wirklich, mich kann heute nichts  aus der Ruhe bringen.

 

 

 

 

 

 

Himmelblau

vor den zerissenen Wolken
und den Fetzen aus Himmelblau
tanzen die Birken im Wind
sie wiegen die Zweige
und streben und strotzen
dem Frühling entgegen

komm, liebste Freundin
reich mir die Hände
lass uns tanzen und lächeln
schmieden wir den neuen Bund
kraftvolle Farben
gegen halsstarrige Tristesse